… was bleibt…
Gruppe : Zweifellos :
Erinnern im Tanz: Das Körpergedächtnis
„Erinnern ist nicht einfach gleichzusetzen mit Gedächtnis, obwohl Erinnerung und Gedächtnis sich nicht trennen lassen. Erinnern ist vielmehr das Plündern des Gedächtnisses als Tätigkeit des Geistes mithilfe des Gehirns.“
Daniel Schacter, Professor of Psychology, Harvard University
Was verbindet Tanz mit Erinnern?
Ich werde oft gefragt, wie sich Tänzer die hoch komplexen Abläufe einer Choreographie überhaupt merken können. Wir arbeiten ohne jedes Hilfsmittel: keine Noten, kein Souffleur. Allein darauf angewiesen, was das Gedächtnis gespeichert hat.
Für uns ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dies als gegeben hinzunehmen und bei eventuellen Erinnerungslücken auf der Bühne sofort zu improvisieren. Wir verlassen uns auf unser Körpergedächtnis. Aber was ist das eigentlich?
Ich fand es sehr spannend, im Rahmen dieser Recherche diesem Phänomen des Erinnerns genauer nachzugehen und bin dabei auf fesselnde Informationen über die Arbeit einzelner, am Erinnerungsprozess beteiligter Hirnregionen gestoßen.
Wenn wir Tänzer unser langjähriges Tanzstudium beginnen, lernen wir als Erstes, unserem Körpergedächtnis zu vertrauen. Das ist wichtig, denn sobald wir auf der Bühne stehen, haben wir keine andere Kontroll-Instanz. Wir dürfen nicht mehr darüber nachdenken, ob unsere Bewegungen richtig sein könnten. Unsere Körper müssen sie verinnerlichen, wissen, fühlen. Wir brauchen als Tänzer diesen verlässlichen Automatismus, weil wir unsere Konzentration auf der Bühne für die Darstellung unserer Rolle, nicht für die Durchführung der Technik benötigen.
Anfangs ist das sehr schwer. Wir wiederholen beim Klassischen Training jeden Tag die gleichen Übungssequenzen: angefangen bei den Pliè-Folgen, über die Tèndues und die Ronds des Jambes par Terre, usw. Immer der gleiche Ablauf in unterschiedlichen Variationen und unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden.
Wir werden unzählige Male korrigiert, bis die Bewegung im prozeduralen Teil unseres Langzeitgedächtnis gespeichert und verlässlich abrufbar ist. Dies ist ein automatisiertes System, das dafür sorgt, körperliche Routine reibungslos umsetzen zu können, ohne darüber nachdenken zu müssen. Es ist ein bisschen wie das Spielen eines Musikinstruments oder Fahrradfahren.
Wenn wir eine Choreographie lernen und sie oft genug geübt haben, automatisiert sie sich ganz ähnlich. Allerdings brauchen wir für das Erinnern eines so komplexen Ablaufs die Hilfe von höheren Gedächtnissystemen. Hier kommt das Episodische oder Autobiographische Gedächtnis ins Spiel. In diesem Gedächtnisteil findet aktives Erinnern statt: Wie war das noch gleich, welcher Schritt, Raumweg, etc. folgt jetzt?
Unterstützt wird das Episodische Gedächtnis beispielsweise durch Klang, also die Musik: wir erinnern uns auch nach vielen Jahren noch an bestimmte Akzente der Musik und den entsprechenden Bewegungseinsatz. Gefühle sind für die Unterstützung des Episodischen Gedächtnis ebenfalls sehr wichtig, z.B. das Gefühl daran, dass wir eine bestimmte Bewegung NIE oder besonders gut umsetzten konnten. Diese Gefühle haben allerdings nichts mit den Emotionen, die wir für die künstlerischer Darstellung brauchen, zu tun.
Das prozedurale, also das „Fahrradfahr-Gedächtnis“ spielt auch bei der Erinnerung komplexer Abläufe insofern eine Rolle, da eine Choreographie, einfach ausgedrückt, letztendlich eine komplexe Aneinanderreihung von erlernten Übungen ist.
Ich entschied mich, für dieses Projekt eine Choreographie, die ich einige Jahre zuvor kreiert und seitdem nicht mehr getanzt hatte, wieder aufleben zu lassen. Entstanden ist ein kleiner Film, der meine Bemühungen um Bewegungs-Erinnerung zeigt und sie in Bezug zur Arbeit der einzelnen Gedächtnissysteme setzt.
Vernissage und Performance
Das Video wurde am 18.Oktober.2015 in der Ausstellung in der Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen gezeigt
Hier der Flyer zur Ausstellung.
Der Film über die Vernissage ist hier zu sehen:
http://www.ephesia-grammata.com/veranstaltungen/lesungen/
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