Category: Buch

12
Jan

DAS ZIEL IST IM WEG! Das Buch

Bizarre Kurzgeschichten von Petra Vetter – Sonder-Edition

In ihren bizarren Kurzgeschichten beschäftigt sich die Autorin nicht mit der großen Weltpolitik und den menschlichen Dramen, die daraus resultieren. Sie sucht vielmehr nach den Ursachen hinter der Wirkung und findet sie in unserem täglichen Miteinander. Kuriose Beziehungskonstellationen stellen ihre Protagonisten vor verzwickte Herausforderungen, denen sie sich auf unerwartete Weise stellen.
Hintergründig leuchtet Petra Vetter unsere zwischenmenschlichen Abgründe aus und hält den Leser mit überraschenden Wendungen in Atem.


Blick ins Buch

Die nachfolgenden Textauszüge der ausgewählten Erzählungen sind urheberrechtlich geschützt
Copyright 2017 Petra Vetter
Redaktion Petra Vetter
Layout Frederick Himperich
Foto unsplash.com / frank mckenna
Printed in Germany

Inhalt

UND JETZT? 1

UNMÖGLICH 4

COURAGE ODER TORHEIT? 8

DAS ZIEL IST IM WEG 13

KOMPROMISSE 27

HERR SCHMITZ 40

Veranstaltungsvorschau 49


HERR SCHMITZ

Ich stand im Wollgeschäft, um Material für mein nächstes Projekt zu erwerben, hatte aber noch keine Ahnung, was ich anfertigen wollte. Ich hoffte auf Inspiration vor Ort.

Die Knäuel lagen nach Qualität und Farbe sortiert in ihren Regalen. Sie räkelten sich verführerisch und winkten mich lockend zu sich heran. Eins schöner als das andere.
„Nimm mich, nimm mich“, sangen sie mit betörend rauchigen Stimmen im Chor. Ich befand mich in einem wollüstigen Tiefen– nein, Farbenrausch, konnte mich nicht an ihrer Schönheit sattsehen und war absolut entscheidungsunfähig.
Welche Farbe sollte ich wählen? Smaragdgrün, Limonengelb, Amethystlila oder Neonpink? Sie waren alle wunderschön, strahlten um die Wette!
„Bindet mich, streicht flüssiges Wachs in meine Ohren“, flehte ich innerlich – wie einst Odysseus bei den Sirenen – angesichts der ganzen Pracht.
„Mhmh …“ Ein Räuspern ertönte in diesem Augenblick. „Meinst du nicht, du bist ein wenig theatralisch, meine Liebe?“, vernahm ich eine Stimme, die ich geflissentlich zu überhören versuchte.

Doch die Situation hatte sich mit einem Mal grundlegend für mich verändert. Ich schlenderte nun betont lässig an den Regalen entlang mit dem festen Willen, mich demonstrativ meiner weiblichen Intuition zu überlassen.
Mittlerweile war ich in einem Ladenbereich angelangt, in dem Wollknäuel mit atemberaubenden Farbverläufen lagen. Warum denn wählen, warum auf eine Farbe reduzieren, dachte ich bei diesem Anblick. Doch auch hier musste ich mich zwischen unterschiedlichen Kombinationen entscheiden: Sollte ich vielleicht das Rot-Blau-Pink Arrangement vorziehen oder lieber die Komposition aus Grün-Gelb-Lila oder … ?
Kurzerhand schnappte ich mir von allen Varianten ein Knäuel und ging entschlossen zum Spiegel.

„Nun, Gnädigste, ich sehe, du bist in Nöten. Was soll es denn diesmal werden“, meldete sich die bekannte Stimme erneut voller Hohn. Es war Herr Schmitz, der das Wort ergriffen hatte. Konnte man nicht einmal ungestört eine Entscheidung ohne ihn treffen?
Herr Schmitz, müssen Sie wissen, ist mein Verstand, und ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu ihm.


COURAGE ODER TORHEIT?

Wir haben uns nie kennengelernt, da du drei Jahre vor meiner Geburt in deinen besten Jahren verstarbst. Nur drei Jahre trennten uns von einer Begegnung und doch stammtest du aus einem anderen Jahrhundert, einer anderen Sozialisation. Ich weiß nicht, ob wir uns gut verstanden hätten; wir bekamen keine Gelegenheit, es herauszufinden. Vielleicht warst du ein schwieriger Mensch, was mich bei dem, was dir widerfuhr, nicht verwundert hätte.
Ich habe schon in meiner frühen Kindheit von dir gehört, denn du warst in der Familie nicht vergessen. Auch wenn ich noch viel zu jung war, um das Erzählte zu verstehen, habe ich dich, deinen aufrechten Gang und deinen Mut bewundert. Denn dass du mutig warst, hatte ich intuitiv erfasst.
Meine Einstellung zu deiner Courage wandelte sich, je älter ich wurde, je mehr ich verstand. Mir wurde immer rätselhafter, wie jemand der Gefahr für sein eigenes Leben so sehr trotzen konnte, wie du es getan hast, um seine Ideale nicht zu verraten. Woher nahmst du diese übermenschliche Kraft? Hätte ich genauso handeln können, wäre ich an deiner Stelle gewesen?
Ich wünschte es mir, bezweifele allerdings mein Potential zum Helden.


KOMPROMISSE

Lilly erwachte schweißgebadet und versuchte, ihr Bewusstsein in den Wachzustand zurückzuholen. Ihre Albträume, verbunden mit Panikattacken, waren vor einiger Zeit wiedergekehrt.
Sie begannen damals vor 17 Jahren, als sie ihren Mann Dave kennengelernt hatte, waren aber nach der Hochzeit genauso plötzlich wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.
In einem der beiden Träume versuchte ihre Mutter, die Beziehung zu Dave zu unterbinden, indem sie die erwachsene Lilly zu Hause einschloss und ihr jeglichen Kontakt zu ihm verbot.
Im anderen flirtete und schmuste Dave vor ihren Augen hemmungslos mit anderen Frauen, wohl wissend, dass sie anwesend war und er sie mit seinem Verhalten sehr verletzte.
Damals konnte Lilly ihre Träume nicht deuten und nahm sie als merkwürdige Hirngespinste hin, denn sie war überaus glücklich mit Dave. Er war ihre ganz große Liebe.
Im Lauf der Jahre erklärte sich, wie sie glaubte, zumindest ihr zweiter Traum, denn sie vermutete, dass sie nicht mehr die einzige Frau in Daves Leben war. Sie wusste nicht, ob er ernsthafte Affairen hatte, aber die Art und Weise, wie er anderen weiblichen Wesen in ihrer Gegenwart schöne Augen machte, zeigte ihr, dass sie ihm nicht mehr genügte. Da er sein offensichtliches Verhalten leugnete, zog sie sich immer mehr zurück und ließ ihn immer weniger an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. Trotzdem war die Hoffnung geblieben, wieder zu ihm zurückzufinden.
Doch nun hatte sich die Situation dramatisch verändert, und ihre Träume waren zurückgekehrt.
Dave bekannte sich jetzt offiziell zu seiner Freundin, mit der er heute in den Urlaub aufbrechen würde, und ihr achtjähriger Sohn Yannik würde die beiden begleiten. …

… Dave hatte sich den Wecker früher als nötig gestellt. Er brauchte ein wenig Anlaufzeit, um sich für den Tag zu wappnen. Heute würde er mit seiner Freundin, die ihn sehr glücklich machte, und seinem kleinen Sohn in den Urlaub aufbrechen.
Seine Hoffnung, dass seine Frau Lilly abwesend sein und ihnen allen die Abschiedsszene ersparen würde, hatte sich nicht erfüllt. Eigensinnig hatte sie auf ihrer Anwesenheit beharrt. Ihre Leidensfähigkeit trieb ihn zum Wahnsinn. Konnte sie nicht einfach die Fakten hinnehmen? Statt dessen hatte sie begonnen, um ihn zu kämpfen.
Das sollte verstehen wer wollte, ihm waren ihre Beweggründe zu kompliziert. SIE hatte sich von ihm zurückgezogen, sagte, sie halte seine Dominanz nicht mehr aus. Sie hatte eine Auszeit gefordert, mit der er ganz und gar nicht einverstanden gewesen war. Wozu sollte das gut sein? Es würde sie nur noch weiter separieren. Wahrscheinlich hatte ihr einer ihrer esoterischen Freunde diesen Quatsch eingeredet.
Ein Jahr hatte er vergeblich versucht, sie zur Einsicht zu bewegen, dann war er Susanne begegnet. Und nun sollte er zu Lilly zurückkehren und konnte zusehen, wie er das Chaos bewältigte.
Susanne war nicht so kompliziert wie Lilly. Sie liebte ihn, nörgelte nicht dauernd an ihm herum, war anschmiegsam und fürsorglich und nicht überspannt und kapriziös. Er freute sich auf den gemeinsamen Urlaub, hatte Erholung dringend nötig, und auch Yannik würde ein Tapetenwechsel gut tun.
Lilly machte sie noch alle verrückt mit ihrer Art, sich seine Beziehung zu Susanne in Öl und in Farbe auszumalen.
Andererseits plagte Dave sein schlechtes Gewissen. Lilly war beängstigend blass und schmal geworden. Sie hatte so schockiert auf seine Urlaubsankündigung reagiert, dass er Angst um sie bekam.